Der Papst, das Sommerfest und öffentliche Führungen
Können Sie sich noch erinnern? 2005 im Hochsommer, ein heißer Tag, die Konrad-Adenauer-Allee abgesperrt, Menschentrauben sammeln sich auf der B9, Gullis abgeklebt, schwarze Limousinen an jeder Straßenkreuzung, und plötzlich kommt das Papamobil mit Papst Benedikt XVI. (Joseph Alois Ratzinger) um die Ecke. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler empfing den Pontifex in der Villa Hammerschmidt und der Auflauf vor dem einstigen ersten Bundespräsidentensitz war so groß wie seit Jahren nicht mehr. Auch das Sommerfest, bei dem die Parkanlage der Villa Hammerschmidt ihre Pforten öffnete und den Blick auf ein Stück deutscher Geschichte freigab, wird dem ein oder anderen Bonner noch im Kopf sein, im Oktober 2011 unter Christian Wulff. Die alten, historischen Regierungsgebäude – sie säumen die Adenauer-Allee vom ehemaligen Bundeskanzleramt in Gronau bis zum seitlichen Ausgang des weitläufigen Grundstückes an der Kaiser-Friedrich-Straße. Wann immer sie nochmal genutzt werden, ist der Andrang groß, denn hier gibt es ein Stück deutscher Zeitgeschichte zum Anschauen aus der Nähe. Das Palais Schaumburg ist aufgrund einer langwierigen Renovierung seit einigen Jahren geschlossen, doch ein Ende naht und der Kanzlerbungalow lädt ab dem Frühjahr wieder zu öffentlichen Führungen ein. Prädikat: wertvoll!
Palais Schaumburg im gesellschaftlichen Glanz – Mittelpunkt von Festivitäten und kaiserlichen Besuchen.
HISTORISCH:
• Entworfen: 1858 bis 1860 im Auftrag des Tuchfabrikanten Aloys Knops
• Spätklassizistisches Gebäude in Stil und Größe eines barocken Lustschlosses
• 1860 kauft Wilhelm Loeschigk die Villa und siedelt mit seiner Familie aus New York City nach Bonn über
• Loeschigk gab der Villa den damaligen Namen „Villa Loeschigk“ und wohnte darin bis 1890
• Das Grundstück umfasste neben der Villa Wein- und Hühnerhaus sowie eine Schmiede. Loeschigk baute auf dem Anwesen Obst- und Gemüse an.
• 1894 erwirbt Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe das Anwesen und lebt dort mit seiner Frau, Prinzessin Viktoria von Preußen und jüngere Schwester Wilhelms II.
• Das Ehepaar lässt den Bau erweitern, 1904 zählen zum Anwesen ein Pförtnerhaus, das Seitenhaus mit Orangerie, Gewächshaus und einer Wohnung, ein Maschinenhaus, eine Reitbahn sowie ein Tennisplatz
• Der heutige Name Palais Schaumburg leitet sich von der Funktion des Anwesens ab: bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges Mittelpunkt gesellschaftlicher Empfänge und Feste sowie kaiserlicher Besuche
• 1939 wird das Palais vom Deutschen Reich erworben, um dort Teile des Militärstabes der Wehrmacht unterzubringen
DAS PALAIS HEUTE:
• Nach Gründung der Bundesrepublik bestimmt Konrad Adenauer die Villa zu seinem Amtssitz
• 1950 baut der Architekt Hans Schwippert das Anwesen zur Verwendung als Bundeskanzleramt um
• Gerhard Schröder, dem letzten mit Hauptsitz in Bonn amtierenden BK, standen zwei eigens eingerichtete Wohnräume im Palais zur Verfügung
• Von 2001 an, nach Umzug der Regierung, diente das Palais Schaumburg als zweiter Dienstsitz des BK, jedoch nur bis 2013. Seitdem ist das Gebäude aufgrund umfangreicher denkmalgerechter Sanierung und Brandschutz- Modernisierung nicht mehr zugänglich.
• Die Arbeiten sollen bis 2026 abgeschlossen sein. Bis dahin befindet sich der zweite Dienstsitz im benachbarten Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Repräsentative Gründerzeitvilla mit einstiger Nibelungengrotte und Marmorhalle: Die Villa Hammerschmidt
HISTORISCH:
• Kaufmann Albrecht Troost erwirbt 1860 das heutige Grundstück der Villa Hammerschmidt und beginnt mit dem Bau einer spätklassizistischen Villa
• Dort lebt er mit Frau und Kindern bis zum tragischen Tod seiner Ehefrau Jenny Giesler und eines der Kinder. Danach verkauft Troost die Villa an den Unternehmer Leopold Koenig
• 1878 wird die Villa in großem Stil umgebaut, Teil der Straßenfront sowie die Seitenflügel abgebrochen, die Rheinfront gewinnt an Breite rund 20 Meter hinzu.
• 1880 wird an der Rheinseite eine Nibelungengrotte errichtet, die Bundespräsident Theodor Heuss jedoch durch Beseitigung der Figuren unkenntlich machen lässt
• 1899 geht die Villa in den Besitz des Kommerzienrates Rudolf Hammerschmidt über, der eine Marmorhalle einrichten lässt. Nach seinem Tod wird die Anlage in 12 Wohnungen aufgeteilt und vermietet, das Mobiliar und die Kunstsammlungen versteigert.
• Das Anwesen erleidet keinen Schaden im Zweiten Weltkrieg, 1950 erwirbt die BRD das Gebäude von den Erben Rudolf Hammerschmidts und richtet dort den Amtssitz des Bundespräsidenten ein
• 1950 bezieht der erste Bundespräsident der neuen Republik offiziell seinen Dienstsitz und nutzt die Villa – im Gegensatz zu späteren Amtsinhabern – auch als Wohnsitz
DIE VILLA HEUTE:
• Richard von Weizsäcker verlegt 1994 nach dem Regierungsumzug ins Schloss Bellevue. Seitdem dient die Villa Hammerschmidt als zweiter Amtssitz des
Bundespräsidenten
• In größeren Abständen finden in der Villa am Rhein offizielle Staatsbesuche und Empfänge statt, 2005 empfängt Horst Köhler Papst Benedikt XVI., Christian Wulff richtete 2011 ein Kinder- und Familienfest im Park der Villa aus, unter Joachim Gauck gab es 2013 einen Tag der offenen Tür, ebenso 2018 unter F.-W. Steinmeier
• Der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan a.D. wird 2015 von Joachim Gauck im Garten der Villa begrüßt (???)
• Im November 2023 empfing Frank-Walter Steinmeier den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö mit militärischen Ehren
• Seit 2011 können Paare sich in den Räumlichkeiten der Villa standesamtlich trauen lassen
• Die Villa ist nicht öffentlich zugänglich
Weltoffen und modern, eine Nachkriegsarchitektur zum Vorzeigen: Der Kanzlerbungalow
HISTORISCH:
• Das jüngste der drei Regierungsgebäude. Ludwig Erhard (Bundeskanzler von 1963-66) gibt – damals noch als Wirtschaftsminister im Amt – den Bau der Residenz in Auftrag
• Der Bungalow soll die weltoffene und moderne Gesinnung der Bundesrepublik widerspiegeln
• So beauftragt Erhard den befreundeten Architekten Sep Ruf, ein repräsentatives Gebäude in der Tradition der klassischen Moderne zu entwerfen – der Bau gilt heute als herausragendes Beispiel westdeutscher Nachkriegsarchitektur
• Der Bungalow besteht im Wesentlichen aus zwei versetzten Quadraten von 20x20 und 24x24 Metern Außenlänge, darin jeweils ein Atriumhof
• Das größere Quadrat beeinhaltet die repräsentativen Räume, das kleinere den privaten Wohn- und Schlafbereiche. Schiebe- und Versenkwände machen
die Raumgestaltung flexibel, so kann zum Beispiel ein Musikzimmer oder eine Kamindiele abgetrennt werden
• Die rundum bodentiefen Fenster sowie der Bungalow-Baustil verleihen dem Gebäude einen ganz besonderen Charakter
• Jeder Bundeskanzler bringt ein wenig eigenen Stil und Geschmack in den Bungalow ein
• Erhard bewohnt das Gebäude nur zwei Jahre, seinem Nachfolger Kurt Georg Kiesinger (1966-69) ist es zu kühl und ungemütlich, er lässt Polstermöbel und
mittelalterliche Kunstwerke aufstellen
• Willy Brandt (1969-74) zieht gar nicht ein und nutzt das Gebäude nur für Veranstaltungen
• Zu Regierungszeiten von Helmut Schmidt (1974-82) wird wegen des RAF-Terrors eine Panzerglaswand vor die Terrasse gesetzt, um einen möglichen Beschuss von der anderen Rheinseite abzuwehren
• Mit fast 17 Jahren bewohnt Helmut Kohl (1982-98) den Kanzlerbungalow am längsten. Er lässt einen Halogensternenhimmel im Esszimmer installieren, der noch heute sofort die Besucherblicke auf sich zieht
• Gerhard Schröder (1998-2005) zieht wegen des nahenden Umzugs nach Berlin nicht in den Bungalow ein, er überlässt Helmut Kohl weiterhin die privaten Räume und nutzt nur den Repräsentationsteil.
DER KANZLERBUNGALOW HEUTE:
• Seit einiger Zeit wird das Gebäude für Veranstaltungen, Lesungen und Konzerte genutzt
• Das Haus der Geschichte hat eine kleine Dauerausstellung mit Fotos und Exponaten im Eingangsbereich installiert, Zeitzeugen-Interviews geben
persönliche Einblicke in ein Stück Bonner Regierungsgeschichte
• Der Bungalow soll nach Renovierungsarbeiten in diesem Frühjahr wieder öffnen, Führungen können über den Besucherdienst des HDG gebucht werden.
(Hannah Sahm)
Fotos: Axel Thünker, Stiftung Haus der Geschichte, yehdou | fotografie